USA: Die Hexen von Salem - und ihre späten Begnadigungen (2024)

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USA: Die Hexen von Salem - und ihre späten Begnadigungen (1)

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Wenn man das so sagen kann, hatte Elizabeth Johnson Jr. doppeltes Glück im Unglück. Sie entkam 1693 der Todesstrafe, weil der damalige Gouverneur von Massachusetts die als Hexe verurteilte Frau rechtzeitig begnadigte. Und nun könnte sie vollständig rehabilitiert werden, weil sich eine achte Klasse aus ihrer Region bei der Politik sehr für sie eingesetzt hat – im August 2021, also mehr als drei Jahrhunderte später.

Elizabeth Johnson Jr. war nicht die Einzige in ihrer weiteren Familie, die im Örtchen Salem nahe Boston der Hexenvorwurf traf: 27 ihrer Verwandten standen deshalb ebenfalls vor Gericht. Und noch viele andere Bürgerinnen und Bürger. Denn zwischen Januar und Oktober 1692 kam es im und um das Dorf zu einer Welle von Hexenprozessen, die sich schnell auf das ganze Land ausdehnten.

Hunderte wurden angeklagt, zahlreiche Menschen starben. Bekannt wurden die Ereignisse vor allem durch das Drama von Arthur Miller, der 1953 in seinem Theaterstück »Hexenjagd« das Geschehen von Salem nutzte, um die Kommunistenjagd in der McCarthy-Ära zu kritisieren.

Salem ist der dunkle Fleck auf der Weste der noch immer idealisierten »Gründerväter« der USA. 1620 waren die ersten englischen Siedler mit der »Mayflower« an der Küste von Cape Cod gelandet, strenge Puritaner, die vor religiöser Verfolgung aus England geflohen waren. Bald wuchs die Kolonie, neue Orte gründeten sich. Die Siedlungen wurden zur Keimzelle der späteren USA, doch der religiöse Fanatismus ihrer Gründer wird bis heute weitgehend ausgeblendet.

Der letzte Hexenprozess der USA

Die Hexenjagd in der Neuen Welt unterschied sich kaum von jener in Europa. Am 20. Januar 1692 zeigten die in der 500-Einwohner-Gemeinde Salem lebende Pfarrerstochter Elizabeth Parris, 9, und ihre zwei Jahre ältere Cousine Abigail Williams Symptome, die ein Arzt als Folge von Hexerei deutete.

Der Verdacht blieb zunächst folgenlos. Erst am 25. Februar versuchte eine Nachbarin der Familie herauszufinden, wer die Kinder verhext haben könnte. Sie ließ einen Sklaven einen »Hexenkuchen« aus Roggenmehl und Mädchenurin an einen Hund verfüttern. Die Frau musste sich für ihren Aberglauben vor der versammelten Kirchengemeinde entschuldigen.

USA: Die Hexen von Salem - und ihre späten Begnadigungen (2)

Trotzdem löste sie eine Kettenreaktion aus: Die Suche nach Hexen begann. Schnell wurde Tituba, die Frau dieses Sklaven, als Täterin benannt. Die »verhexten« Mädchen beschuldigten zudem zwei Frauen aus der Gemeinde, was Tituba im Verhör bestätigte.

Am 1. März begannen die Friedensrichter mit öffentlichen Verhören. Zu den wichtigsten Zeuginnen wurden vermeintlich verhexte junge Mädchen, und ihre Zahl stieg nun.

Dorothy, vier Jahre alt – eine Hexe?

Jede Beschuldigung führte zu Verhaftungen, keine Behauptung schien mehr zu absurd. So wurde am 23. März Dorothy Good der Hexerei beschuldigt und verhaftet – sie war vier Jahre alt. Ihre ebenfalls beschuldigte Mutter brachte im Gefängnis noch ein Kind zur Welt, das jedoch starb. Kurz darauf hängte man die Mutter. Die kleine Dorothy kam erst nach neun Monaten gegen Kaution frei.

Anfang April griff die Hexensuche auf den ganzen Landkreis über. Am 11. und 13. April kam es zu ersten Hexereianklagen gegen Männer. Selbst in Boston gab es nun Verhaftungen.

Am 27. Mai 1692 ordnete der Gouverneur der erst im Vorjahr offiziell begründeten neuenglischen Kolonie Massachusetts den Beginn der Prozesse in Salem an und bestellte sieben glaubensstarke Richter. Sie nahmen ihre Arbeit am 31. Mai auf. Und ließen zehn Tage später die erste Frau exekutieren.

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Danach pausierte das Gericht für 20 Tage und holte den Rat der puritanischen Geistlichkeit ein. Der einflussreiche Cotton Mather verfasste die Antwort im Namen der Prediger: »Wir können nicht anders, als der Regierung demütigst die schnelle und energische Verfolgung derjenigen zu empfehlen, die sich selbst als verwerflich gezeigt haben.«

Cotton war der Sohn des damals wohl einflussreichsten puritanischen Geistlichen Increase Mather, der als politischer Strippenzieher auch maßgeblich an der formellen Gründung der Kronkolonie Massachusetts (1691) beteiligt war. Beide verfassten Bücher über Hexerei und wie diese zu bekämpfen sei.

Massenhysterie und Hexenjagd

Cotton Mather war bereits 1688 an einem Hexenprozess in Boston beteiligt. Dort war es zu einem heftigen Streit zwischen Mädchen gekommen, ein Arzt hatte die Kinder für verhext erklärt. Eine der Mütter wurde daraufhin von Cotton Mather der Hexerei beschuldigt, später verurteilt und gehenkt.

Cotton Mather schilderte den Fall in seinem Buch »Memorable Providences« (»Bemerkenswerte Vorsehungen«). Er unterschied darin streng zwischen den »Betroffenen« von Zauberei, die zu heilen seien und nicht zu strafen, und den Verursachern, die man exekutieren müsse. Für ihn stand fest: Wer sich im Verhör der Hexerei schuldig bekennt, ist dies auch.

Aus dieser Überzeugung heraus befeuerte Mather auch die Salemer Prozesse mit Predigten und Pamphleten. Die Hexenjagd breitete sich landesweit aus.

Mindestens 172 Personen wurden angeklagt, bis zu 150 saßen zeitgleich in Gefängniszellen. Fünf der Inhaftierten starben hinter Gittern, 30 wurden schuldig gesprochen und von ihnen 14 Frauen und fünf Männer gehenkt. Unausgeführt blieben die Todesurteile gegen elf Frauen, die meisten von ihnen Schwangere, die erst nach Geburt der Kinder exekutiert werden sollten. Als letztes, direktes Opfer der Prozesse starb Giles Corey am 19. September 1692: Sein Körper wurde unter Felsbrocken zermalmt, die man als Druckmittel der Befragung auf ihm aufgetürmt hatte.

Träume und Visionen als Beweise

Am 12. Oktober 1692 zog der Gouverneur die Reißleine und beendete die Prozesse und Hinrichtungen. Vater und Sohn Mather, seine engsten Berater, hatten sich öffentlich von sogenannten spektralen Beweisen distanziert. Träume und Visionen sollten nun nicht mehr als Beweise anerkannt werden. Selten beruhte die Anklage in den Salemer Prozessen auf mehr als solchen Beschuldigungen – nun war ihnen jede Basis entzogen.

Die meisten Angeklagten wurden zügig entlassen, rund vier Dutzend machte man allerdings noch im Folgejahr den Prozess. Als letzte Gefangene starb Lydia Dustin am 10. März 1693. Sie war zwar freigesprochen worden, hatte aber die übliche Entlassungsgebühr an ihren Gefängniswärter nicht aufbringen können. Elizabeth Johnsohn Jr., die möglicherweise eine geistige Behinderung hatte, wurde begnadigt und starb 1747 mit etwa 77 Jahren.

Für den exzessiven Hexenwahn von Salem gibt es zahlreiche Erklärungsversuche. Zeitweilig war das seltsame Verhalten der Mädchen 1688 und 1692 einer Vergiftung durch den Getreidepilz Mutterkorn zugeschrieben worden. Die These gilt heute als widerlegt, weil keines der geschilderten Symptome dazu passt.

Wie man Salem heute erklärt

Oft angeführt wird auch die Bereitschaft zum »Aberglauben«. Doch der Glaube an Magie, Hexen und Dämonen war gerade in der puritanisch-protestantischen Geistlichkeit besonders ausgeprägt. Theologie lieferte die Begründungen und Anleitungen für die Hexenverfolgung.

Die wahrscheinliche Erklärung ist deshalb eine Gemengelage aus religiösem Fanatismus, psychotischen Wahnvorstellungen, Stress durch innere und äußere Bedrohungen sowie Streit um Macht- und Besitzfragen. Die Hexereianklage entpuppt sich dabei oft als brutales Ventil für alle möglichen Spannungen:

  • Die Puritanerkolonien kamen in ihren Anfangsjahren Theokratien sehr nahe. In Massachusetts war der Kampf gegen unpuritanische »Häresie« Staatsaufgabe, Hexenverfolgung inklusive. Von 1658 bis 1692 kam es zu Wellen von Übergriffen auf »Abweichler«, bis hin zur Hinrichtung von Quäkern (»Boston-Märtyrer«). Auch der Hexenprozess von 1688 trug deutliche Züge religiöser Verfolgung.

  • Für zusätzlichen Stress sorgten Überfälle durch die von den Siedlern verdrängten Indigenen. 1691/92 brach im Bezirk um Salem zudem eine Pockenepidemie aus, der rund 500 Menschen zum Opfer fielen.

  • Dazu kündigte sich ein Machtwechsel an. Das bisher autonom von Puritanern regierte Massachusetts wurde 1691 formell von England übernommen. Dort war der Puritanismus längst entmachtet worden.

  • Besitzkonflikte sorgten für Streit zwischen einzelnen Siedlern und ganzen Gemeinden.

  • 78 Prozent der Beschuldigten waren Frauen. Ihre Seelen galten den Puritanern als offene Einfallstore für den Teufel, weil Frauen grundsätzlich der Erbsünde schuldig seien und zu schwach für den Widerstand gegen das Böse. Viele Frauen hatten diesen irren Glauben selbst derart verinnerlicht, dass ihre Bereitschaft zum Geständnis größer war als die der Männer.

  • Meist beschuldigten sich in den Prozessen Menschen gegenseitig, die sich einem bestimmten sozialen Lager zuordnen ließen – vornehmlich Besitzende gegen Besitzlose oder Schuldner. Zu denen gehörte auch der ehemalige Dorfpfarrer, der Salem Jahre zuvor verlassen hatte, ohne seine Schulden zu bezahlen. Eine Hexereianklage eines Gläubigers sorgte dafür, dass er gehenkt wurde.

Inzwischen sind alle der damals Angeklagten rechtlich rehabilitiert. Die letzte, Elizabeth Johnson Jr., hatte keine Nachkommen, die sich dafür hätten einsetzen können. So übernahm nun eine Schulklasse die Aufgabe. Die Achtklässler machten Druck auf die Politik und fanden eine Verbündete in der Senatorin von Massachusetts: Diana DiZoglio brachte kürzlich einen Gesetzentwurf ins Parlament ein, der sich in Teilen auf die Recherchen der Jugendlichen stützt. Auf dieser Grundlage soll Johnson rückwirkend begnadigt werden.

Cotton Mather (1663 bis 1728) gilt bis heute als einer der wichtigsten Intellektuellen des kolonialen Amerika. Er distanzierte sich nie von den Salemer Hexenverfolgungen und plädierte noch Jahre später für die Wiederaufnahme solcher Prozesse.

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